Als ich vor Monaten zum allerersten Mal das Filmplakat zu LIBERACE (BEHIND THE CANDELABRA) gesehen habe, spukten mir gleich zwei Gedanken durch den Kopf: Wie befremdlich sehen bitte Michael Douglas und Matt Damon da bloß aus und überhaupt: Who The Fuck Is Liberace? Geht's da um gewöhnungsbedürftige Mode? Oder ist das eine Hommage an Siegfried und Roy? Nach anschauen des Trailers war ich dann um einiges schlauer. Liberace war also ein sehr populärer Entertainer und Pianist, der überwiegend in seiner Heimat Amerika Riesenerfolge feierte, angeblich zur damaligen Zeit noch berühmter als Elvis (O-Ton Michael Douglas). Ich bin Jahrgang '79 und wohl (entschuldigt) zu jung, um über ihn als Legende Bescheid zu wissen.
Die gänzlich zusammenfassende Handlung:
Las Vegas, 1977. Der etwas naive Waisenjunge und Tierpfleger Scott (Matt Damon) lernt durch einen Agenten die Showattraktion Walter Liberace (Michael Douglas) kennen. Der knackige Scott ist angetan von seinem Spiel und ausschweifenden Lebensstil und trotz des großen Altersunterschiedes zieht er bald in seine prunkvolle und an Kitsch nicht zu übertreffende Villa ein. Zuerst hörig lässt sich Scott sogar diverse Schönheitsoperationen (die geradewegs in eine fatale Tabletten- und Drogensucht münden) über sich ergehen lassen, um seinen Lover und 'Ersatz-Daddy' zu gefallen. Einige Zeit läuft alles gut, doch irgendwann bekommt die Zweisamkeitsharmonie Risse und der sexsüchtige Liberace schaut schon nach seinem nächsten Jüngling Ausschau. Nach fünf Jahren trennen sie sich und Scott wird nach einem Rechtsstreit mit viel Geld davongejagt. Wenige Jahre später treffen sich Beide noch einmal, auf Wunsch von Liberace, der im AIDS-Endstadium sterbend im Bett liegt. Scott, mittlerweile von seiner Drogensucht rehabilitiert willigt ein und sie versöhnen sich schließlich, bevor Liberace das Zeitliche segnet.
Die erste Szene in LIBERACE ist schon recht wegweisend für den Film. Scott lernt in einer Szene-Bar einen Typ kennen, sie begegnen sich und reden kurz miteinander. Wir vermuten zuerst, dass das in einem One-Night-Stand endet, aber da täuschen wir uns. Dieser Mann oder auch besagte 'Agent' ist im Auftrag von Liberace unterwegs, der ganz genau weiß, welcher Typ Mann seiner Aura und Charme erliegen kann und letztlich auch wird. Wegweisend deswegen, weil man hier anhand von Liberace an der Nase geführt wird oder auch kurz gesagt: hier wird in seiner sonderbaren Welt viel gevögelt und vor allem noch mehr gelogen.
LIBERACE ist kein typisches Biopic-Movie, das sehen wir schon allein daran, da der Film dort einsteigt, als Liberace bereits ein bekannter Star ist. Wir erfahren nicht viel aus seiner Vergangenheit und zugegeben ist es auch nicht sonderlich einfach, eine komplette Lebensgeschichte in nur 2 Stunden überzeugend umzusetzen (da würde sich ein Serien-Format mehr zu eignen), so haben sich die Verantwortlichen auf die Ereignisse zwischen den zwei Hauptprotagonisten beschränkt, überwiegend aus der Sicht von Matt Damons Charakter geschildert. Macht Sinn, denn der Film basiert tatsächlich auf einer Autobiographie "Behind The Candelabra: My Life with Liberace" von Scott Thorson, die er ein Jahr nach Liberaces Tod veröffentlicht hat und Richard LaGravenese (DIE BRÜCKEN AM FLUSS) hat den Stoff für diese Produktion adaptiert. Durch diese eher einsichtige Sichtweise von Thorson ist der Film aber leider nicht wirklich rundum perfekt geworden, denn angeschnittene Themen und bestimmte Personen werden viel zu kurz abgefrühstückt oder schlichtweg ignoriert, wie z.B. die angebliche Bisexualität von Scott oder auch wie er nach seiner Trennung von Liberace wieder ein anständiger und cleaner Bürger werden konnte. Von seinen Eltern erfahren wir auch nicht viel und das gleiche gilt auf für Liberaces Mutter, die nur paar wenige Momente im Film zu sehen ist, gespielt übrigens von Debbie Reynolds (SINGIN' IN THE RAIN), die ich gar nicht erkannt habe. Ebenso wie Dan Aykroyd (DRIVING MISS DAISY) als seinen Manager Seymour Heller, der sich überwiegend hinter einer opulenten Sonnenbrille versteckt.
Michael Douglas. Als Sohn einer Hollywood Legende, 2-facher Oscar-Gewinner (für seine Hauptrolle in WALL STREET), bekennender Atheist, linke Hollywoodgröße und als Schlagzeilenträchtiges Oralsex-Opfer hat er so viele interessante und wegweisende Filme in seiner langen Karriere gedreht und produziert (für EINER FLOG ÜBER'S KUCKUCKSNEST bekam er seinen ersten Goldjungen; Platz 2 meiner Lieblingsfilme Aller Zeiten), das er niemanden mehr etwas beweisen muss und es ist auch wirklich wundervoll anzuschauen, wie er sein Schauspieltalent in LIBERACE zu einem neuen Level pusht und eine überaus leidenschaftliche Vorstellung in diesem Spätwerk zum Besten gibt. Wenn er als Liberace zum ersten Mal sein Toupet absetzt, dann sieht er aus wie des Schlumpfs schlimmster Feind Gargamel und sein unförmiger Körper lässt auch allen Glitzer und Glamour nur so davon verpuffen. Aber wenn er wiederum als Rampensau im Scheinwerferlicht mit seinem meterlangen weißen Chinchillapelz über die Bühne torkelt und dann noch mokant ins Publikum ruft: "Könnt ihr mich sehen?" hat eine Präsenz, die einen mit offenem Mund zurücklässt. Ob nun aus voller Begeisterung oder wegen des schlechten Geschmackes, sei dahingestellt.
Es gibt eine vortreffliche Szene im Film, die sich im Laufe der Handlung wiederholt und die Masche von Liberace somit sinngemäß entlarvt. Als Scott das erste Mal Liberace Backstage kennenlernt, sehen wir vorn einen Mann sitzen der isst und die Unterhaltung der Beiden mit einer leicht zickigen Miene verfolgt, dem das nicht wirklich zu gefallen scheint. Es ist Scotts Vorgänger und später sehen wir exakt die gleiche Einstellung im Film, dann allerdings mit Scott im Vordergrund, dem das gleiche Schicksal wiederfahren wird. Gehörst du zum alten Eisen und gehorchst Liberace nicht? Dann erfüllst du den Zweck nicht mehr und wirst abgeschafft. Man spricht das Offensichtliche nicht direkt aus. So wird Scott von seinem Pflegevater gefragt, ob er sich denn mit seinen 'San Francisco Freunden' trifft... wir wissen aber genau was er damit meint, das ist keine geographische, sondern eine eindeutig sexuelle Aussage. Liberace selbst hat Scott auch öffentlich nur als Chauffeur präsentiert. Tatsächlich führen die Beiden aber eine Vater, Bruder, Liebhaber, bester Freund Beziehung. Sogar von Adoption ist die Rede.
Matt Damon spielt diesen Boytoy Scott Thorson, eigentlich die tragische und komplexere Figur in diesem Film. Erstaunlich, das er sich damals auf diese schmerzhaften Gesichtsschönheits-OPs überreden lies, um seinen Gönner als sein Ebenbild noch besser zu gefallen, aber letztendlich wird auch er von Liberace nur ausgebeutet und 'entsorgt', wenn er nicht nach seiner Pfeife tanzt. Unkontrolliert lässt sich Scott immer wieder seine nötigen Pillen verschreiben um zu 'funktionieren', aber irgendwann hat er sich nicht mehr unter Kontrolle. Angesprochen auf die Sex-Szenen im Film sagte Matt Damon einem Reporter bei der Weltpremiere in Cannes: "Jetzt habe ich etwas mit Sharon Stone und Glenn Close gemeinsam!". Sympathisch. Im Gegensatz zu Damon ist der reale Scott Thorson allerdings ein ziemlich seltsamer Zeitgenosse, der bei einem Interview zudem aussagte, angeblich eine Liebesaffäre mit Michael Jackson gehabt zu haben obwohl er jetzt illusorisch hetero ist?! Hat Gott den gläubigen Scott jetzt 'umgedreht', oder wie? Sehr strange, vermutlich ist aber sein opulenter Drogenmissbrauch und die damit angerichteten Folgeschäden an solchen wirren Aussagen schuld daran, wer weiß.
Ex-BRAVO-Posterboy Rob Lowe hat einen köstlichen Auftritt mit seiner perfekt geschminkten und grotesken Horror-Visage als Liberaces Schönheitschirug und sorgt mit seiner Darstellung als Dr. Startz für einige Lacher. Dieser sagt auch unverblümt seinem berühmtesten Patient, dass er nach dem Eingriff seine Augen nicht mehr richtig schließen könne. Was wiederum für einen abstrusen Moment im Film sorgt, als sich nämlich Damon über Douglas Schnarchen beklagt und sich dann zu ihm umdreht, zum fürchten!
SEX, LÜGEN UND VIDEO (1989) hieß das gefeierte Debüt-Werk vom Independent-Regisseur Steven Soderbergh. Falls das nun tatsächlich sein letzter Film sein soll (wie er das selbst vielerorts schon überdrüssig behauptet hat), dann passt es allerdings perfekt und bildet einen gelungenen Abschluss für seine beachtenswerte Filmografie, denn Sex und Lügen gibt es zu Hauf in LIBERACE.
Interessant übrigens die Tatsache, dass in den USA dieses Werk 'nur' für den erfolgsverwöhnten und bahnbrechenden Pay-TV-Sender HBO gedreht wurde, da der Stoff den großen Hollywood-Studios als 'zu schwul' erschien. Ich wundere mich schon gehörig, da es in der Vergangenheit viele Filme mit dieser Thematik zwar zu reichlich Kontroverse, aber ebenso auch zu viel Ruhm und Erfolgen gebracht und die es allesamt zu absoluten Klassikern gebracht haben. BROKEBACK MOUNTAIN ist so ein gutes Beispiel, aber das hat schon in den 30ern angefangen mit Marlene Dietrich in MAROKKO, vielleicht sogar noch früher.
Der selbstverliebte Paradiesvogel Liberace hat alle Behauptungen bezüglich seiner Homosexualität bis zu seinem Tod stets verleugnet und sogar Presseveröffentlichungen anhand von Gerichtsbeschlüssen verboten, was eigentlich rückblickend absolut lächerlich erscheint. Wenn man sich allein seine pompösen Liveshows anschaut und wie er damals selbst auf der Bühne agiert hat, das schreit förmlich nach G-A-Y. Sogar seine eigene Biographie, die er noch zu Lebzeiten veröffentlicht hat, ist nichts als eine gedruckte Lebenslüge. Da wurden die Namen all seiner Liebhaber in Frauennamen umbenannt, dabei war er offensichtlich so ziemlich stockschwul mit einer ausgeprägten Schwäche zu besonders jungen Männern. Andererseits hätte ein Outing in der damaligen konservativen Gesellschaft wohl auch seinen kommerziellen Selbstmord bedeuten können.
Und wie ist der Film nun? Er ist ironisch und extravagant protzig, aber auch gleichzeitig erstaunlich einfühlsam. Ja, er ist aus verschiedenen Beweggründen sehenswert. Vielleicht weil es Soderberghs womöglich doch letzter Mainstream-Kinofilm ist (begründet mit seiner Unzufriedenheit der aktuellen US-Filmindustrie, will er jetzt hauptsächlich für's Fernsehen drehen). Vielleicht auch wegen seiner wirklich grandiosen Ausstattung. Auf alle Fälle wegen Douglas und Damon (das muss man gesehen haben, wie Beide eigentlich als heterosexuelle Mannsbilder küssend und kopulierend übereinander herfallen). Und die letzte Szene natürlich, die sich allein in Matt Damons Vorstellung abspielt, ist ebenfalls superb gelungen und ein fürstlicher Abschluss dieser bizarr glitzernden Welt des doch sehr eigentümlichen Liberace, den man trotz seines Talents (als einer der schnellsten Pianospieler der Welt) letztendlich nicht wirklich ernst nehmen kann.
"Too much of good Things is wonderful". Nach dem Kinobesuch klebt es förmlich überall nur so vor lauter Bonbons, Konfekt und Bling Bling, aber der oberflächlich volle Prunk und süßlich skurille Geschmack hat wirklich nicht schlecht gemundet.
7.5/10
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