Jasmine (Cate Blanchett) sitzt im Flieger, natürlich Business-Class, unterwegs von New York nach San Francisco zu ihrer doch etwas einfach gestrickten Adoptiv-Schwester Ginger (Sally Hawkins). Sie hat alles verloren, ihren Mann Hal (Alec Baldwin), der sie mehrfach betrogen hat und vor allem das ganze heißgeliebte Vermögen. Pleite versucht sie wieder Fuß zu fassen, doch durch ihren starken Alkoholkonsum und der Psychopharmaka treibt sie sich immer mehr in den Schlamassel, selbst der ungeliebte und schamerfüllte Job in der Zahnarztpraxis gerät zum Fiasko (was allerdings nicht unbedingt zwingend an ihrem Fehlverhalten liegt) und ihr Sohn will ebenfalls nichts mehr ihr zu tun haben. Doch dann lernt sie unvorbereitet auf einer Party den charmanten und wohlhabenden Dwight Westlake (Peter Sarsgaard) kennen und sie schöpft wieder Hoffnung, in ihre alte Rolle als verwöhnte und prollige Upper-Class Lady aufzusteigen. Gibt’s nun doch noch ein Happy End für Jasmine?
Jasmine heißt eigentlich in Wirklichkeit Jeannette und da beginnt schon das trügerische Lügengespinst, denn sie findet Jasmine klingt einfach harmonischer und will nur noch mit diesem Vornamen angesprochen werden. Sie scheint ihre Umwelt auch nicht richtig reflektieren zu können, sehr schön dargestellt gleich in der ersten Szene, als sie im Flugzeug ihre ganze Lebensgeschichte einer Platznachbarin (oder sagen wir mal Opfer) erzählt, sie plappert einfach drauf los und kommt zu keinem Ende.
Es prallen zwei Welten aufeinander, als sich Jasmine und Ginger das erste Mal im Film begegnen, wie Feuer und Wasser sind die Beiden. Jasmine, die Alltagsfremde, die vor ihrem Niedergang zu den oberen Zehntausend in New York gehörte und bekannt war für ihre köstlichen Dinnerpartys, stets elegant gekleidet, die nie richtig gearbeitet hat und nun den Wunsch äußert, einen Online-Kurs für Innenarchitektur absolvieren zu müssen, dumm nur dass sie nicht mal einen Computer richtig bedienen kann, geschweige denn in der Lage ist diesen überhaupt einzuschalten. Auf der anderen Seite Ginger, geschieden, Mutter zweier übergewichtiger Söhne, aber im Gegensatz zu Jasmine bodenständiger, denn Sie verdient sich ihren Lebensunterhalt immerhin als Supermarktkassiererin. Sie hat zwar ihr Herz am rechten Fleck, aber eine besondere Schwäche für etwas prollige Typen, die Jasmine alle für Versager hält. Es stößt Jasmine bitter auf, als Sie das erste Mal die Wohnung Gingers betritt, jetzt ist sie wohl in der Realität angekommen. Ihren Ekel kann man im Gesicht Blanchetts deutlich sehen, schnell betrinkt sie sich, um diesen Schock erstmal zu überwinden.
Der Film wechselt zeitlich immer wieder in die Vergangenheit, wo wir
ihren Ex-Mann Hal und den ausschweifenden Luxus-Alltag Beider beobachten
können. Hal ist ein Schwindler und hat beruflich als Investmentbanker viel Mist
gebaut, aber ausschlaggebend für Jasmines Misere ist wohl eindeutig seine
Untreue. Der Weg in die persönliche Hölle ist nur mit einem Telefonanruf von
Jasmine geebnet, ausgelöst aus reinen Rachegelüsten. Der Abstieg macht sich bei
ihr auch optisch bemerkbar, das Make-Up sitzt nicht mehr, Augenringe kommen zum
Vorschein und die Schwitzflecken auf ihrer teuren Seidenbluse werden deutlich
sichtbar. Sie merkt selbst aber am wenigsten von ihrem heran nahenden Niedergang
und es gibt nur einen Weg für sie: nämlich geradeaus abwärts. Sie ist
allerdings auch äußerst naiv, denn sie weiß nicht genau was ihr Mann
geschäftlich so wirklich treibt, bürgt aber für ihn. Für sie zählt nur der
Luxus und solange das Geld im Überfluss vorhanden ist, stellt sie keine Fragen.
Oberflächlichkeit deluxe.
Sehr gelungen auch die Szenen zwischen Blanchett und ihren
Chef in der Zahnarztpraxis Dr. Flicker (gespielt von Michael Stuhlbarg, bekannt
aus dem wundervollen Coens-Film A SERIOUS MAN) der immer aufdringlicher zu ihr wird
und sich vor lauter Geilheit nicht mehr unter Kontrolle hat. Die restlichen
Schauspieler machen ihre Sache auch ganz prima, Alec Baldwin und Peter
Sarsgaard sind optimal besetzt, genauso wie die Stand-Up Comedians Louis C.K.
und Andrew Dice Clay, ebenso Bobby Cannavale, der u.a. in Kult-Fernsehhits wie
SIX FEET UNDER oder BROADWALK EMPIRE zu sehen war. Aber vor allem Sally Hawkins
hat mir hier in der White-Trash-Rolle sehr gut gefallen, das könnte sich letztlich
auch mit einer verdienten Oscarnominierung als beste Nebendarstellerin für sie auszahlen.
Für interessante Frauenrollen ist Woody Allen immer wieder gut,
das hat er in seinem bisherigen Lebenswerk nachhaltig bewiesen und regelmäßig
werden diese auch preisgekrönt, wie z.B. vor paar Jahren im Falle von Penelope
Cruz. Diese Figur Jasmine ist eine sehr komplexe und nur eine besondere
Schauspielerin kann diese so glaubhaft spielen, wie Blanchett es hier
bemerkenswert fertig gebracht hat. Dabei hatte Allen Glück, denn Blanchett war
wohl Jahrelang für’s Theater verpflichtet, zwischendrin hatte sie aber etwas Luft
und nahm das Angebot an.
Wunderbar, wie Allen seither immer wieder den gleichen
Schriftzug in seinen Filmen verwendet, die Schauspieler schön in alphabetischer
Reihenfolge gegliedert, alle sind gleichwertig, egal wie populär die Einzelnen
auch sind, das gefällt mir. Er hat auch immer wieder in Interviews den großen
Regisseur Ingmar Bergman als sein Vorbild auserkoren, das konnte man vor allem
in dem Film INNENLEBEN aus dem Jahr 1978 mit einer der besten Schauspielerinnen
aller Zeiten, nämlich Geraldine Page, genießen dürfen. In BLUE JASMINE
schimmert aber auch immer Mal dezent etwas Bergman durch.
Es ist oft nachzulesen, dass sämtliche Kritiker den Film mit
ENDSTATION SEHNSUCHT vergleichen, tatsächlich haben diese Werke in der Handlung
einige unübersehbare Gemeinsamkeiten. Die Idee zum Film hat sich Allen aber
nicht von Tennessee Williams abgeguckt, sondern von einer Frau aus seinem
Bekanntenkreis, die wohl genau die gleiche Aversion wie Blanchett im Film durchlebt
hat.
!SPOILER!START!
Am Ende sehen wir Cate Blanchett in der Großaufnahme. Sie
sieht ziemlich mitgenommen und ungeschminkt aus, redet weiter wirr im Monolog
und gar streitig vor sich hin, die Sitznachbarin auf der Parkbank entfernt sich
rasch von ihr. Das schaut alles sehr schwermütig aus, die Frau ist gebrochen und
ruiniert, es gibt wohl doch leider kein Happy-End mehr für Jasmine. Klingt in
der Tat sehr deprimiert, ist aber genial gespielt und doch eher untypisch für
ein Woody Allen Finale, das hier sehr konsequent den Leidensweg seiner
Protagonistin zu einem, wie ich finde, absolut befriedigtem Abschluss findet. Das
‚Blue‘ im Filmtitel steht nicht für die wunderschöne Augenfarbe Blanchetts, sondern
wohl eher für ihr andauerndes Allgemeinbefinden, denn: der Wodka steht für
Jasmine immer griffbereit. Und im
Hintergrund läuft „Blue Moon“.
!SPOILER!ENDE!
Cate Blanchett sagte mal in einem Interview: „Der Film ist eine Reise, aber nicht unbedingt eine fröhliche“. Da hat sie Recht, es ist ein wohldosierter und böser Trip. Mich hat Blanchett mit dieser Performance auch stark an die großartige Gena Rowlands in EINE FRAU UNTER EINFLUSS erinnert, ein Meisterwerk von der Regie-Independent Ikone John Cassavetes , ebenfalls sehr empfehlenswert.
Ich verwette meine komplette DVD-Sammlung, dass die charismatische Blanchett für diese Rolle ihren zweiten Oscar erhalten wird. Keine andere Schauspielerin in diesem Jahr kann ihr nur an nährend das Wasser reichen. Ein Film zwischen Trostlosigkeit und Komik. Cate Sing The Blues, verbittert, wahrhaftig und wahnwitzig. Eine Meisterleistung, danke Cate.
8.5/10