Donnerstag, 21. September 2017

mother! (2017)

Achtung!! In dieser Rezension wird teilweise gespoilert!

Die Handlung:

Er (Javier Bardem) und Sie (Jennifer Lawrence) sind ein namenloses Paar und leben abgeschieden in einem viktorianischen Landhaus ohne Smartphone und Fernseher mitten im walddichten Nirgendwo. Bardem ist Schriftsteller und plagt sich gerade mit einer Schreibblockade, während Lawrence das gemeinsame Haus nach einem verheerenden Brand selbstständig und aufopferungsvoll renoviert und aufhübscht. Irgendwann klingelt es an der Tür,  der Fremde (Ed Harris) stellt sich als Arzt und großer Fan von Bardems Werk vor. Wie selbstverständlich gewährt er dem Eindringling einen Schlafplatz und Zuflucht im Haus, was Ihr so gar nicht genehm ist. Nur ein Tag darauf taucht plötzlich auch die Frau des Fremden (Michelle Pfeiffer) auf, die ebenfalls kurzerhand in das Haus einzieht.  Zur Eskalation kommt es schließlich, als dann noch die Beiden Söhne der Fremdlinge einlaufen. Was dann folgt ist ein Mord, eine ersehnte Schwangerschaft und der inspirierende Funke für den Dichter (der sein Meisterwerk erschaffen wird), bevor buchstäblich die Hölle im trauen Heim ausbricht.

Darren Aronofskys 7. Regiearbeit ist ohne Frage ein kontroverser Film, über den im Vorfeld schon vieles zu lesen und zu hören war. Ein cineastischer Albtraum, hieß es, bei den Filmfestspielen in Venedig vom Publikum gnadenlos ausgebuht, außerdem wurden vielerorts Vergleiche mit Polanskis Klassiker ROSEMARY'S BABY unternommen.

Erst mal stellt sich die Frage: Welches Genre wird hier bedient? Drama, Psychotrip, Horror, Groteske, Arthaus, göttliche Komödie? Von allem etwas, würde ich sagen.
Ist ‚mother!’ das ROSEMARY'S BABY der Neuzeit? Jein.  Ja, es gibt eindeutig Parallelen, wie die Schwangere und zweifelnde Ehefrau, der Künstler der nach dem Erfolg giert und das Böse, das von Außen in die heilige Privatsphäre eindringt. Im Polanskis Klassiker waren es die direkten Nachbarn, die sich als Satanisten entpuppten und John Cassavetes eine Schauspielkarriere versprachen. Bei Aronofsky sind es die glühenden fanatischen Fans von Bardems Charakter, die ihn und sein Werk überkultisch verehren, bevor die Apokalypse ausbricht. Und Nein, es ist kein RB Remake geworden, zum Glück.

Und ist der Film sehenswert? Zum Teufel, ja!!

Es gibt einige Interpretationsmöglichkeiten, die man im Internet nachlesen kann. Ich finde aber, man sollte sich unvoreingenommen und möglichst ‚keusch’ auf diese Erfahrung einlassen und seine eigenen Interpretationen aus dieser Geschichte ziehen, sofern man denn das überhaupt kann und auch entschlüsseln will. Denn eines ist sicher, kalt lassen wird der Film niemanden (vorausgesetzt man ist nicht völlig abgestumpft).

Lawrence Figur, die unentwegt an der Kamera haftet,  scheint mit dem Haus irgendwie verbunden zu sein,  das wird gleich zum Anfang klar. Jedes mal, wenn sie die Wände berührt, nimmt Sie Kontakt zu dem ‚inneren Organ’ des Hauses auf...daraufhin fangen die Wände und der Fußboden an zu bluten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, die biblische Symbolik  und Metapher durchstreift den kompletten Film, es ist eine Art abstrakte Version der ‚Buch der Bücher’, also der Bibel.

Bardem (ER, großgeschrieben) und Lawrence (mother! kleingeschrieben) sind ein gegensätzliches Paar. ER ist meistens egozentrisch und distanziert, sie anhänglich und bedürftig. Es herrscht Liebe und Schrecken in der Beziehung. Auf den ersten Blick ist ER der Künstler (DER Erschaffende) und sie seine Muse (die gequälte Ehefrau, die sich zu Hause ein Paradies erschaffen möchte). Pfeiffer und Harris könnten als Adam und Eva durchgehen, die aus Lawrence Paradies vertrieben werden (als Bardem das Wort in Zorn erhebt, nachdem Pfeiffer sein ominöses ‚Kristall’ zerstört hat). Die Söhne der Beiden, von denen nur einer überleben wird, kann man als Kain und Abel auslegen. Dann der Wasserrohrbruch, verursacht durch die Fremden im Haus, vielleicht eine Anspielung auf die Sintflut? Und als das komplette Chaos regiert und Lawrence schmerzerfüllt die Welt nicht mehr versteht, sieht Bardem einfach nur zu und unternimmt nichts (und ich würde ihn als Gott sehen, der sein Gesamtwerk den Menschen überlässt, auch wenn Chaos und Zerstörung die Folge ist. Klingt schon ziemlich biblisch, oder?). Der Film ist voll von solchen Anspielungen. Vielleicht kann man es sich auch einfach machen und die Handlung schlichtweg auf den Künstler und seine Muse beschränken und der Frage: Wie weit darf die Eitelkeit des Ruhms auf Kosten der Privatsphäre gehen?
Der  Showdown ist extrem gewalttätig, aber meiner Meinung nach alles andere als sinnlos.  Am Ende schließt sich jedenfalls erzählerisch der Kreis und wenn der Abspann kommt, wissen wir als Zuschauer genau wie die Geschichte weitergeht.

Die Besetzung ist erstklassig, Javier Bardem überzeugt als Autor in der Schaffenskrise und Ed Harris als todgeweihter Eindringling ist wie immer fantastisch.
Trotzdem, die klaren Abräumer-Rollen haben hier eindeutig die Frauen ans Land gezogen. Allen voran Jennifer Lawrence, die hier eine Performance abliefert, die Alle Hater und Neider erstummen lassen wird, mag man von dem Film selbst halten was man will, Lawrence ist hier eine Offenbarung. Ich vermute auch mal stark, dass die finanzielle Verwirklichung des Filmes vor allem durch ihre Star-Power erst möglich gemacht worden ist.  In einer dankbar unsympathischen Rolle brilliert Michelle Pfeiffer, als ungebetener und trinkfester Gast, die selbstbestimmt, arrogant und so boshaft agiert, dass man Sie am liebsten sofort erwürgen möchte. Auch die eher als Komödien-Actrice bekannte Kristen Wiig („Brautalarm“) ist hier völlig gegen ihren Typ besetzt und agiert als eiskalte Verlegerin, die auch mal über Leichen geht, wenn’s sein muss. Interessant die Tatsache, dass hier während der gesamten Spielzeit keine herkömmliche Filmmusik zu hören ist, lediglich Geräusche und Klänge sind wahrzunehmen, eingespielt von dem Isländer Johann Johannsson, der zuvor schon ‚Arrival’ und ‚Die Entdeckung der Unendlichkeit’ musikalisch veredelt hat.

Die Kritiker urteilen sehr gemischt über ‚mother!’.  Die einen argumentieren recht harsch und finden das Spektakel Geschmacklos und übertrieben. Die anderen sehen darin einen exzellenten Beitrag und wütenden Aufschrei über den besorgniserregenden Zustand dieser Welt. Der Rest schließlich ist uneinig, loben den Großteil, verreisen ihn aber für den letzten Drittel des Films. Mittlerweile hat sich auch der Regisseur zu Wort gemeldet und seine Sicht der Dinge und Erklärungen zum Werk offengelegt.

Ich persönlich finde es mitreißend, wie Aronofsky hier völlig kompromisslos mit einer progressiven Brutalität und auch einem gesundem Schuss Arroganz seine Geschichte in 120 Minuten erzählt.  Das tat er auch schon zuvor mit BLACK SWAN, THE FOUNTAIN und REQUIEM FOR A DREAM, ein Wahnsinnsfilm und einer meiner Lieblingsfilme Aller Zeiten. Aronofsky gehört für mich zu den besten und spannendsten Regisseuren der Gegenwart, neben Paul Thomas Anderson und vielleicht noch Alexander Payne.

Ich bin jedenfalls begeistert und glücklich darüber, dass solche Filme überhaupt noch entstehen und wir gebannt ins Kino stürmen können. Auch wenn mother! alles andere als leicht verdauliche Kost daherkommt und mich tatsächlich in der Folge-Nacht teilweise um den Schlaf gebracht hat. Aronofsky jagt hier gnadenlos alles in die Luft und zelebriert ein fiebertraumartiges Glanzstück, das mit einem ordentlichen Knall endet.

Eine verstörende Zumutung, ja. Aber auch  gleichzeitig ein Volltreffer!
Für mich jetzt schon ein Klassiker.

9.5/10


Rosemary's Baby (1968) und mother! (2017)