Montag, 19. August 2013

Der Geschmack von Rost und Knochen (2012)

Und hier ist noch ein Liebesfilm, allerdings schlägt dieser einen ganz anderen Ton an als SILVER LININGS PLAYBOOK. Allein der Titel schon DER GESCHMACK VON ROST UND KNOCHEN! Würde man überhaupt keine Ahnung haben, worum es in dem Film geht, würde man wohl am ehesten auf einen Splatter-Movie tippen. Der Titel signalisiert bereits, dass dies keine leichtverdauliche Boy-Meets-Girl-Liebes Schmonzette ist und das ist schon mal das erste lobenswerte an diesem stark physisch ausgeprägten französischem Filmdrama. Worum geht’s?

Der von seiner Frau getrennt lebend und eigensinnige Ali (Matthias Schoenaerts) streift mit seinem Sohn Sam durch Frankreich. Ohne Geld und Bleibe, landen Beide bei seiner Schwester. Er verdient sich zuerst als Türsteher seinen ersten Lohn, dabei lernt er die selbstbewusste Schwertwal-Trainerin Stephanie (Marion Cotillard) kennen, die gerade von einem Typ im Club die Nase blutig geschlagen bekommen hat. Erst nach Monaten sehen sich die Beiden wieder und das Schicksal hat mittlerweile bei Stephanie gnadenlos zugeschlagen. Bei einer ihrer Vorstellungen wird sie von einem Killerwal angegriffen und verliert beide Unterschenkel. Verbittert und im Rollstuhl sitzend versucht sie ihren Alltag zu bewältigen. Und es ist ausgerechnet der gefühllose Ali, der es schafft, Sie wieder zurück ins Leben zu holen.

Zwei gegensätzliche Menschen treffen aufeinander. Ali, der sowohl als Wachmann als auch mit illegalen Kämpfen seine Kasse aufbessert ist ein Unsympathischer Zeitgenosse, emotional ziemlich kaputt und unfähig seinen Sohn rechtzeitig von der Schule abzuholen, da er sich lieber mit einer Unbekannten bei einem Quickie vergnügt. Sein Kapital ist eindeutig sein gut trainierter Körper, der zudem viel Sex ausstrahlt und sich nimmt, was es braucht. Stephanie, nach dem Arbeitsunfall depressiv und mit  Stümpfen ausgestattet, im Gegensatz zu  Ali die körperlich versehrte, für die sich schon allein ein Toilettengang als schwierig erweist, emotional aber nach und nach an sich wächst.

Regisseur Jacques Audiard, der bereits mit dem Vorgänger EIN PROPHET einen großen Erfolg hatte inszenierte diesen Liebesfilm authentisch mit allen Ecken und Kanten und schont dabei seine Zuschauer nicht. Den Unfall sehen wir zwar nicht wirklich, nur wie sie danach im Wasser driftet, diese Szene ist aber in einer sehr starken Bildersprache gelungen. Ebenso als Ali die zuerst ablehnende Stephanie zum ersten Mal nach draußen aus Ihrer Sozialwohnung ans Meer nimmt und mit ihr ins Wasser steigt, hat einen wunderschönen Augenblick inne.

Der Film bietet noch einige andere nachhaltig wundervolle Momente. Einer der schönsten, als Marion Cotillard wortlos vor dem großen Glasbecken steht und einem Schwertwal die Richtung dirigiert, das hat schon was magisches an sich. Beide Figuren profitieren in dem Film stark voneinander, bestechend ebenfalls in der Szene (und wohl auch die eindeutige Message in diesem Film), als Ali während eines Kampfes am Boden liegt und sieht, wie Stephanie mit ihren Edelstahlprothesen aus dem Auto steigt…und zeigt ihm ihren wiedergewonnen Lebenswillen und Mut vor, so dass er aufsteht und weiterkämpft. Großartig!

„Willst du ficken?“, fragt Ali einmal Stephanie…damit sie noch überhaupt weiß, ob es noch funktioniert und sich genauso ohne die fehlenden Unterschenkel anfühlt wie früher. Sie tun es und wir erinnern uns bei der allerersten Begegnung der Beiden, als Ali noch die schönen und perfekten Beine von Stephanie auffielen, jetzt hat sie keine mehr und es scheint ihn nicht sonderlich zu stören, genauso wenig wie er in einer Disco in Angesicht vor ihr eine andere für den Beischlaf  abschleppt. Er ist eine Kampf- und Fickmaschine, äußerlich unverwundbar, innerlich aber leer und ohne Gespür für Sensibilität oder Anstand. Aber es gibt Hoffnung für Ali, zum Ende hin wendet sich überraschend das Blatt und er zeigt zum ersten Mal Gefühle.

Beide Hauptdarsteller leisten wunderbare Arbeit, die fantastische Marion Cotillard wurde zudem in der letzten Award-Saison für einige wichtige Darstellerpreise nominiert. Großes Lob auch an die Special-Effekt-Macher, die es fertig brachten, Cotillards Amputation sehr lebensecht aussehen zu lassen.

Ein außergewöhnlich intensiver Film, in jeder Hinsicht sehenswert.

09/10